Neulich beim Einkaufen sah ich, wie jemand eine Flasche Bio-Agavendicksaft in den Einkaufswagen legte. Das erinnert mich an etwas, was mich schon seit langem ärgert: Die irreführende Vermarktung von Agavendicksaft als „gesunde“ Alternative zum Zucker. Dabei ist es genau umgekehrt: Agavendicksaft ist noch giftiger als Zucker!
Um das genau zu verstehen, müssen wir den Dingen auf den Grund gehen: Was ist in Agavendicksaft drin? Warum ist das für den Menschen giftig? Warum behauptet die Werbung das Gegenteil? Und welche Alternativen sind wirklich besser als Zucker?
Fruktose – Der böse Onkel des Traubenzuckers
Fangen wir von vorn an, beim Zucker. Inzwischen haben alle mitbekommen, daß Zucker nicht so toll ist. Was die meisten nicht wissen: Zucker ist richtig giftig. Hier eine Zusammenfassung:
- Ein Molekül weißer Haushaltszucker (Sucrose) besteht chemisch gesehen aus einem Molekül Glucose („Traubenzucker“) und einem Molekül Fruktose („Fruchtzucker“). Bei der Verdauung wird Zucker in diese beiden Moleküle gespalten, so daß er wie ein 50/50-Gemisch aus Glucose/Fructose wirkt.
- Glucose ist der Grundbaustein für Stärke, also für die meisten Kohlenhydrate und daher in normalen Mengen harmlos.
- Es ist die Fruktose, die den Zucker giftig macht: Sie reagiert deutlich schneller mit Proteinen in ihrer Umgebung als Glucose und kann daher im Blut die Blutgefäße schädigen. Daher wird Fruktose so schnell wie möglich über die Leber entsorgt. Die dabei anfallenden Abfallprodukte (u.a. auch Harnsäure) sind für den Körper problematisch und können langfristig zu verschlechterten Blutfettwerten, Übergewicht (Siehe auch „Metabolisches Syndrom“), Gelenkschmerzen (auch Gicht), Leberschäden (Leberzirrhose) und anderen Schäden führen. Nebenbei gaukelt Fruktose dem Körper vor, daß er hungert und verstärkt daher den Appetit. Fruktose ist für die Leber ungefähr so giftig wie Alkohol, die langfristigen Auswirkungen von Fruktose auf den menschlichen Körper sind zum Großteil die gleichen wie beim Alkohol (aus: Public health: The toxic truth about sugar.).
- Genaueres findet Ihr in diesem Video von Prof. Lustig von der Universität Kalifornien, samt Erläuterungen und Kommentaren auf Deutsch. Wer es ganz genau nachlesen möchte: Im Papier Fructose, insulin resistance, and metabolic dyslipidemia. werden die Zusammenhänge zwischen Fruktose, Insulinresistenz, Fettleibigkeit und Fettstoffwechselstörung wissenschaftlich fundiert dargestellt.
Fruktose ist fies!
Zurück zum Agavendicksaft: Der wird oft als „gesunde“ Alternative zum Zucker vermarktet. Warum?
Warum Agavendicksaft gesund sein soll – und das Gegenteil der Fall ist
- Argument Nr. 1 der Agavendicksaft-Hersteller: Agavendicksaft ist süßer als Zucker, also braucht man weniger davon, ergo soll Agavendicksaft besser sein als Zucker, bei gleicher Süßung.
- Argument Nr. 2: Agavendicksaft hat einen niedrigeren Glykämischen Index (GI) als Zucker und provoziert daher eine weniger starke Ausschüttung des Hormons Insulin, und wir wissen ja, dass weniger Insulin im Blut eine gute Sache ist. Daher wird Agavendicksaft oft auch für Diabetiker empfohlen.
Beide Argumente sind nicht falsch, aber irreführend. Um das zu verstehen, müssen wir genau hinschauen, woraus Agavendicksaft in Wirklichkeit besteht.
Agavendicksaft ist eine Mischung aus Glucose und Fruktose (also ähnlich wie Zucker), wobei die Glucose- und Fruktose-Moleküle nicht miteinander verbunden sind, sondern frei im Sirup herumschwimmen. Je nach Anbieter, Quelle und Qualität beträgt das Verhältnis von Fruktose zu Glucose im Agavennektar zwischen 7:1 und 9:1. Damit enthält Agavendicksaft pro Einheit bis zu 80% mehr Fruktose als Haushaltszucker.
Da es bei der Giftigkeit von Zucker auf den Fruktoseanteil ankommt, ist Agavendicksaft ironischerweise noch giftiger als Zucker. Von wegen „gesunde Alternative“!
Und was ist mit den Argumenten der Agavensirup-Industrie? Auch die lassen sich auf Basis des höheren Fruktose-Anteils leicht erklären:
- Fruktose ist in der Tat 1,73 mal süßer als Glucose, aber sie unterdrückt auch die Wirkung des Sättigungs-Hormons Leptin im Gehirn: Fruktose ist ein echter Appetitanreger! Genau deswegen ist Fruktose in der Industrie als Zusatz zu fast jedem Lebensmittel so beliebt. Paul Jaminet, Autor von Perfect Health Diet hat dazu ein schönes Papier gefunden, das die epidemische Ausbreitung von Zucker mit der von Übergewicht vergleicht: Potential role of sugar (fructose) in the epidemic of hypertension, obesity and the metabolic syndrome, diabetes, kidney disease, and cardiovascular disease.. Fruktose führt nur zu noch mehr Fruktose!
- Und was ist mit dem Glykämischen Index? In der Tat stimuliert Fruktose keinen Insulin-Ausstoß. Warum auch? Fruktose ist ja auch gar nicht für die Stoffwechselprozesse vorgesehen, die durch Insulin gesteuert werden. Fruktose ist sozusagen der ungeliebte Verwandte der Glucose. Sie darf gar nicht mit den anderen Körperzellen spielen, sondern wird schnurstracks über die Leber wieder rausgeschmissen — und das unter hohen Kosten. Aus diesem Grund hat das Deutsche Bundesamt für Risikobewertung explizit davor gewarnt, Fruktose als Alternative für Diabetiker zu empfehlen Unknown title
Soviel zur „gesunden“ Alternative. Jetzt versteht Ihr vielleicht, warum mich das so ärgert, wenn ich im Laden Leute sehe, die nach der Agavendicksaft-Packung greifen, oder „Paleo“-Rezepte mit Agavendicksaft im Netz finde. In Drogerien wird sogar reine Fruktose als Pulver verkauft. Da sollte man eine Giftstoff-Warnung draufkleben!
Fünf bessere Alternativen zu Zucker und Agavendicksaft
Hier sind fünf Tipps, mit denen Du Dich vom Fruktose-Wahnsinn befreien kannst:
Trainiere Dein Geschmacksempfinden: Deine Rezeptoren für „süß“ auf der Zunge funktionieren genauso wie andere Sensoren im Körper: Bei Überbeanspruchung stumpfen sie einfach ab. Das Überangebot an Süßigkeiten in unserer Gesellschaft führt durch Gewöhnung dazu, dass wir gar nicht mehr mitbekommen, wie viel Zucker eigentlich in den Speisen drin ist.
Diesen Effekt kannst Du auch umgekehrt für Dich selbst nutzen: Wenn Du sparsam süßt, werden die Geschmacksrezeptoren empfindlicher! Gleichzeitig kommen andere Geschmäcker wieder stärker zum Vorschein, die früher durch den Zucker übertüncht wurden: Du entwickelst dann ein feineres Gespür für Aromen.
Also heißt die Devise: Zuckermenge schrittweise reduzieren! Fang’ am besten gleich jetzt an, und verwende nur noch die Hälfte Zucker/Honig/Süßmittel für Kaffee, Nachtisch und andere Süßungs-Aktivitäten. Statt Milchschokolade hat sich Bitterschokolade bewährt. Schau auf die Packung und rechne aus, wieviel Prozent Zucker drin ist, je nach Sorte ist das ziemlich genau 100% minus Kakoanteil. In der nächsten Woche kannst Du dann die Zucker-Menge wieder halbieren, bzw. eine Bitterschokolade mit höherem Prozentsatz wählen.
Achte dabei, wie sich Dein Geschmacksempfinden ändert und welche neuen Aromen jetzt hinzukommen, wenn der Zucker nicht mehr im Weg steht. Nach ein paar Wochen wirst Du Kaffee/Tee komplett ohne Zucker trinken können, und er wird Dir besser schmecken als zuvor!
Meine Lieblingsschokolade hat 85% Kakoanteil. Wenn ich aus Versehen mal eine mit 70% erwische, kommt mir die Schokolade schon zu süß vor. Da ist ja auch doppelt so viel Zucker drin, wie bei der 85%-igen (30% statt 15%).
Sei ehrlich zu Dir selbst: Eine weiterer Effekt von „gesunden“ Zucker-Alternativen ist, dass sie das Gewissen beruhigen und daher vom Problem ablenken. „Zucker? Kein Problem für mich, denn ich verwende ja den guten Bio-Agavendicksaft!“ Mit reingewaschenem Gewissen läßt sich noch ungehemmter genießen, und so nimmt der Fruktose-Teufelskreis seinen Lauf.
Statt Absolution zu erkaufen ist es besser, ehrlich mit sich selbst zu sein: Muss der Kaffee wirklich süß sein? Oder ist es nur eine Gewohnheit? Bist Du wirklich eine unverbesserliche „Naschkatze“ (oder ein „ganz Süßer“)? Willst Du das überhaupt? Worin liegt Dein Genuß wirklich?
Viel besser ist es, sich bewußt zu werden, warum man etwas süß haben möchte, und dann ehrlich mit sich selbst zu sein. Stehe einfach zu einem süßen Ausnahme-Genuß für Dich und zelebriere sie ihn bewußt als kleine Besonderheit.
Ich gönne mir z.B. am Wochenende zum Frühstück ein paar Pancakes mit Ahornsirup, ohne Reue und als bewußten Genuss.
Setze süße Akzente: Meine Töchter, 6 und 3, sind noch zu jung, um die Manipulationen von Zucker und insbesondere Fruktose auf Körper und Gehirn zu verstehen. Hier hilft nur Rationieren und Nachtisch bzw. Süßigkeiten als etwas Besonderes (s.o.) zu behandeln. Das funktioniert recht gut.
Dabei hilft auch folgender Trick: Wenn meine Töchter Honig oder Sirup in ihren Naturjoghurt fordern, gebe ich nur ein paar kleine Spritzer oben drauf, ohne umzurühren. Dadurch ergibt sich durch den Kontrast zwischen Naturjoghurt und Honig/Sirup ein stärkeres Empfinden für den süßen Geschmack, als wenn die Süße durch das Umrühren einfach unterginge (und dadurch größere Mengen erfordern würde). Naja, sie rühren dann zwar oft alles nochmal um, aber das ist ja dann ihre Entscheidung :).
Für uns Erwachsene gilt das gleiche: Ein paar Spritzer Sirup oder ein paar Kristalle obenauf ergeben einen deutlichen süßen Akzent, ohne dass man gleich das ganze Dessert in Süße ertränken muß. Meine Pancakes werden nicht in Ahornsirup getaucht, sondern ich gebe nur ein paar kleine Spritzer drüber. Das reicht, um nicht nur die Süße, sondern auch die anderen Aromen, die im Ahornsirup stecken wirklich zu genießen.
Nutze die natürliche Süße von Früchten: Und damit meine ich die ganze Frucht. Früchte enthalten zwar Fruktose (daher der Name), aber sie enthalten auch Ballaststoffe und Antioxidantien. Dadurch wird ein Teil der Fruktose durch Bakterien im Darm abgebaut (und sogar in nützliche Ketokörper verwandelt), so dass nicht alles vom Körper aufgenommen wird. Die Antioxidantien helfen dann dem Stoffwechsel, besser mit der Fruktose klar zu kommen.
Ganze Früchte sind also besser als Fruchtsäfte, denn da fehlen Ballaststoffe. Ich trinke schon lange keinen Orangensaft mehr zum Frühstück, da ist (dank moderner Züchtung) etwa genauso viel Zucker drin, wie in Cola. Also: Fruchtsalat statt Pudding, etwas Apfelkompott mit Zimt, oder einen Beerencocktail als Nachtisch genießen!
Honig oder Ahornsirup sind die geringsten Übel: Sowohl weißer Tafelzucker, als auch Honig oder Ahornsirup enthalten in etwa zum gleichen Teil Glucose und Fruktose, der „Schaden“ ist also der Gleiche. Bei Honig und bei Ahornsirup sind jedoch die Glucose- und Fruktose-Moleküle getrennt voneinander, so daß sie ihre Süße freier entfalten können. Hier stimmt also das Argument, daß Honig/Ahornsirup bei gleicher Menge süßer sind, bzw., dass man den gleichen Süßungseffekt mit einer niedrigeren Menge erreichen kann.
Darüber hinaus sind in Honig und Ahornsirup auch die ein oder anderen wertvollen Vitamine und Inhaltsstoffe enthalten.
Honig oder Ahornsirup sind vor allem „ehrliche“ Süßungsmittel: Natürlich, aber ohne Schummelei, dazu steigern sie über ihre individuellen Aromen noch den Genuß, vor allem wenn man sie sparsam (s.o.) einsetzt.
Zum Schluß noch ein Bonus-Tipp: In seinem Buch Das Urgeschmack Dessertbuch hat Felix Olschewski, bekannt aus dem Urgeschmack-Blog tolle Rezepte für leckere Desserts zusammengestellt, die mit weniger Süße auskommen, die individuellen Aromen der Zutaten herausstreichen und vertretbare Süßungsmittel verwenden.
Buchtipps: Richtig gesüßt genießen
Hier findet Ihr Buchtipps, die Genuß mit vernünftiger Süße kombinieren:
Jetzt seid Ihr dran: Ist Euch der Agavendicksaft auch schon begegnet? Welche Süßungsmittel verwendet Ihr und wie steht Ihr zum Drang nach Süßem? Schreibt einen Kommentar gleich hier unten!
Bildquellen: Agavenbild von Flickr-User Steve L. Martin (SLiM), genutzt unter Creative-Commons-Lizenz, Totenkopf-Bild von Wikipedia, Public Domain.
Update (08.01.2014): Sucrose präziser als Glucose/Fructose-Molekül, das im Körper bei der Verdauung in seine Bestandteile aufgespalten wird dargestellt.
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Von Constantin Gonzalez am 30.05.2013, aktualisiert: 19.12.2016 in Grundlagen.
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