Paleosophie | Tipps und Hintergründe für den zivilisierten Urmenschen | von Constantin Gonzalez

Alles, was man über Kohlenhydrate wissen sollte, Teil 1: Was genau sind Kohlenhydrate?

Kartoffeln und ein Stärke-Molekül, Teil I.

In Gesprächen über Ernährung dauert es nicht lange, bis die Makronährstoffe Fett, Proteine und Kohlenhydrate zur Sprache kommen. Dabei genießen die Kohlenhydrate (neudeutsch: „Carbs“) in letzter Zeit wieder mehr Aufmerksamkeit: Von der Low-Carb-Diät bis zum sportlichen Carbo-Loading oder gar dem neumodischen Carb-Back-Loading, das sogar Arnold Schwarzenegger interessiert hat.

Ähnlich wie beim früheren Artikel über alles, was man über Fett wissen sollte ist es auch bei den Kohlenhydraten eine gute Idee, sich das Thema von Grund auf vorzuknöpfen: Was genau sind Kohlenhydrate? Wie werden sie aufgebaut? Wie verwertet der Körper sie? Gibt es „gute“ und „schlechte“ Kohlenhydrate und wie erkenne ich sie? Wieviel Kohlenhydrate sind „gut“ und warum?

Alle Kohlenhydrate fangen beim Zucker an

Kohlenhydrate sind untrennbar mit Zuckern verbunden, also beginnen wir unsere Reise im Land der Süße. Rein chemisch gesehen gibt es sehr viele Sorten Zucker: Das liegt daran, das „Zucker“ recht einfach definiert sind: Jede Kette von mindestens drei Kohlenstoff-Atomen, die mindestens eine sog. Hydroxygruppe hat (das ist ein Sauerstoff-Atom, an dem ein Wasserstoff-Atom dranhängt) und die auch eine Carbonylgruppe hat (das ist ein Sauerstoff-Atom, das über zwei Bindungen mit einem Kohlenstoff-Atom verbunden ist) ist chemisch gesehen ein Zucker. Da man sich die Anzahl der Kohlenstoff-Atome aussuchen kann und auch noch die Lage der Carbonyl-Gruppe variieren kann, sind theoretisch unendlich viele Zucker-Arten möglich.

In der Natur kommen jedoch nur wenige verschiedene solche „Einfachzucker“ vor. Die bekanntesten und häufigsten Einfach-Zucker sind die Glucose, oder auf Deutsch: Traubenzucker, und die Fruktose, oder Fruchtzucker. Übrigens enden alle Zuckernamen auf „-ose“ und die Gruppe aller Zucker-Moleküle heißt Saccharide.

Warum sagte ich vorhin „Einfachzucker“? Ihr ahnt es schon: Mehrere Zucker-Moleküle lassen sich zu größeren Zucker-Molekülen kombinieren. Einfachzucker heißen chemisch „Monosaccharide“. Nimmt man zwei einfache Zuckermoleküle und sorgt dafür, daß sie sich chemisch verbinden, dann heißt das Ergebnis StereoDisaccharid. Mehr als zwei Zuckermoleküle in einer Kette heißen Oligosaccharide und ganz lange Ketten nennt man Polysaccharide.

Der einfache Tafelzucker (=Invertzucker oder Invertose) ist ein Disaccharid: Jedes Tafelzucker-Molekül besteht aus einem Glucose-Molekül und einem Fruktose-Molekül, die quasi Hand in Hand zusammengewachsen sind. Tafelzucker läßt sich ganz einfach wieder trennen, indem man ihn in Wasser auflöst und mit etwas Säure (z.B. Zitronensaft) erhitzt, dann bekommt man ein Glucose-Fruktose-Gemisch. Da die Süße im Honig auch aus einem Glucose-Fruktose-Gemisch besteht, ist das gleichzeitig ein Rezept für Kunsthonig: Das ist nichts anderes als gespaltener Haushaltszucker. Das jedenfalls hat mir mein Chemielehrer damals in der Schule beigebracht, die Kunsthonig-Seite auf Wikipedia sagt etwas geringfügig anderes, ist sich aber ihrer Quellen nicht so sicher. Vielleicht sollte ich das mal korrigieren?

Zurück zum Thema: Was sind jetzt nun Kohlenhydrate?

Zucker in Reih und Glied

Alles, was man aus Zuckern bauen kann, sind „Kohlenhydrate“. Dazu gehören nicht nur die Einfachzucker und die Mehrfachzucker, sondern auch lange Ketten von Zuckermolekülen. Und auch davon gibt es viele Varianten. Hier die drei wichtigsten:

  • Lange Ketten von Glucose-Molekülen heißen Stärke. Im Bild oben seht Ihr ein 3D-Modell eines Stärkemoleküls. Solche Ketten können auch verzweigt sein und dadurch dreidimensionale, vernetzte Strukturen bilden, die der Stärke ihre Zähigkeit und Klebrigkeit verleihen. Fast immer, wenn von „Kohlenhydraten“ die Rede ist, ist eigentlich damit Stärke gemeint: Kartoffeln, Brot, Nudeln, Reis, etc. bestehen (neben Wasser) überwiegend aus Stärke. Auch Knollengemüse wie Süßkartoffeln enthalten viel Stärke. Andere Gemüsesorten, wie Karotten, Pastinaken, Paprika, Tomaten, Zucchini oder Blatgemüse enthalten nur sehr wenig Stärke.
  • Zwei Glucose-Moleküle lassen sich auf bestimmte Art zu einem Disaccharid namens Cellobiose verbinden. Und Cellobiose selbst läßt sich ebenfalls zu sehr langen Ketten und räumlichen, vernetzten Strukturen anordnen, die dann Zellulose heißen. Das ist der Hauptbestandteil von Pflanzen, der ihnen ihre Struktur gibt. Der Unterschied zwischen Stärke und Zellulose ist also nur ihre räumliche Struktur doch dieser Unterschied reicht schon aus, um die Zellulose für den Körper unverdaulich werden zu lassen, im Gegensatz zur Stärke, die sehr leicht verdaulich ist.
  • Hängt man an ein Glucose-Molekül eine sog. Acetamidogruppe dran und benutzt dann das so gewonnene Acetylglucosamin-Molekül als Baustein für lange Ketten und räumliche Strukturen, dann erhält man Chitin, den anderen großen Baustoff der Natur. Chitin wird von Insekten und von Krustentieren für ihre Außenhaut benutzt (wobei die Härte über Kalk oder andere Bestandteile kommt, da Chitin an sich weich ist). Auch Pilze nutzen Chitin als Baustoff. Ebenso wie Zellulose ist auch Chitin für den menschlichen Körper schwer verdaulich.

Und damit haben wir schon die wichtigste Frage für diesen Artikel geklärt. Kohlenhydrate sind wie Lego: Die Einfach-Zucker sind die Lego-Steine und man kann sie zu Mehrfachzuckern (Tafelzucker, Malzzucker, usw.) oder zu langen Ketten und sogar dreidimensionalen Strukturen (Stärke, Zellulose oder Chitin) zusammenbauen.

Kohlenhydrate in der Natur und in Lebensmitteln

Weil Kohlenhydrate chemisch so vielseitig sind und nebenbei auch gut als Energiespeicher dienen, gehören sie biologisch zu den wichtigsten und am häufigsten vorkommenden Stoffen. Kein Wunder, dass sie fast überall in der Nahrung vorkommen:

  • Früchte enthalten Glucose und Fructose als wichtige Süßstoffe. Das ist eine reine Werbe-Maßnahme: Wer die Früchte isst, der hilft der Pflanze, ihre Kinder durch die Gegend zu tragen und sie woanders in praktischen, vorgedüngten Päckchen wieder auszusäen. Für diese nützliche Arbeit sollen Tiere belohnt werden, daher sorgt die Pflanzenwelt dafür, daß Früchte süß sind. Nebenbei enthalten Früchte auch Vitamine und wertvolle sekundäre Pflanzenstoffe. Eine Win/Win-Situation für Pflanzen und Tiere.
  • Stärke ist für Pflanzen ein wichtiger Energiespeicher. Manche Pflanzen speichern Energie in Form von Stärke in Knollen, wie z.B. Kartoffeln, Süßkartoffeln (die übrigens mit Kartoffeln nicht verwandt sind), Rüben oder auch Gemüse wie Sellerie oder Kohlrabi. Auch bei der Fortpflanzung der Pflanzen spielt Stärke eine wichtige Rolle, denn die Nachkommen brauchen eine gewisse Start-Energie für den Austrieb. Daher enthalten Samen, Körner und auch Hülsenfrüchte einen recht hohen Anteil an Kohlenhydraten.
  • Auch Tiere verwenden Kohlenhydrate, wenn auch deutlich sparsamer als Pflanzen: Milch von Säugetieren enthält Laktose, also Milchzucker. Der ursprüngliche Plan der Natur sah vor, daß Menschen und Tiere nur im Säuglings-Alter Laktose verdauen sollen. Daher haben früher alle Menschen (so wie die Tiere) im Erwachsenenalter die Fähigkeit verloren, Laktose zu verdauen, sie waren Laktose-Intolerant. Mit Aufkommen der Viehhaltung und durch den daraus resultierenden Selektions-Druck, der Laktose-tolerante Menschen eindeutig bevorteilte, hat der Mensch in vielen Teilen der Welt durch Mutation die Fähigkeit bekommen, auch im Erwachsenenalter Milchzucker verdauen zu können.

Am wichtigsten für den Menschen ist jedoch ein anderes Kohlenhydrat: Das Glykogen, das ist die Form, in der der menschliche Körper Energie für kurzfristige Zwecke speichert. Doch das ist Stoff für den nächsten Artikel in dieser Serie.

Im nächsten Artikel: Alles, was man über Kohlenhydrate wissen sollte, Teil 2: Welche, warum und wieviel? betrachten wir, wie der Körper mit Kohlenhydraten umgeht: Wie werden sie verdaut? Welche Rolle spielen sie in der Ernährung? Gibt es „gute“ und „böse“ Kohlenhydrate? Wie viel Kohlenhydrate sind gut und wieviel ist zu viel und warum?

Bis dahin freue ich mich natürlich über Eure Kommentare und Euer Feedback!


Korrektur: Wurzelgemüse wie Karotten oder Pastinaken enthalten so wie andere Gemüse doch nur sehr wenig Stärke. Das habe ich oben im Text korrigiert. Vielen Dank an Lotti für den Hinweis! (10.09.2012)

Das Kartoffel-Bild stammt von Flickr-User graibeard und ist dort unter der CC BY-SA 2.0-Lizenz freigegeben. Das Stärke-Molekül wurde mit Jmol und POV-Ray unter Verwendung eines Stärke-Modells von BioTopics.co.uk gerendert. Das Endergebnis wurde mit GIMP zusammengesetzt und ist ebenfalls unter der CC BY-SA 2.0-Lizenz freigegeben.

Von Constantin Gonzalez am 31.08.2012, aktualisiert: 19.12.2016 in Grundlagen.


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Mein Name ist Constantin, Informatiker und seit 2008 beschäftige ich mich intensiv mit Ernährung, Gesundheit und aktueller Forschung dazu.

Mit der Paleo-Ernährung (oder: „Paleo-Diät“) bin ich heute 18 kg leichter und fitter als je zuvor. Jetzt wandle ich mich vom Couch-Potato zum Athleten. Das hätte ich als klassischer „Geek“ nie gedacht!

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