Manche Leser-Fragen sind eine Inspiration für neue Artikel, daher führe ich jetzt mal eine neue Kategorie Leserfragen ein.
Diesmal kam folgende Frage in der Leser-Post auf:
„Was ist der Unterschied zwischen Paleo und Low-Carb-Ernährung? Sind sie gleichzusetzen? Wir sehen keine wesentlichen Unterschiede, warum gibt es dann aber beides?“
Die kurze Antwort ist, dass beide Ernährungsformen versuchen, eine möglichst gesunde Ernährung auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zu finden. Nur der Ansatz ist unterschiedlich: Die Low-Carb-Ernährung fokussiert sich auf die Menge der Kohlenhydrate in der Ernährung als zentrales Thema, während die Paleo-Ernährung die Ernährung des Urmenschen als Grundlage für Ernährung nimmt.
Dass in der Paleo-Ernährung auch weniger Kohlenhydrate gegessen werden, als bei konventioneller Ernährung ist ein natürlicher Nebeneffekt, der sich aufgrund der qualitativen Auswahl der Lebensmittel meistens von alleine ergibt – Mengen werden aber in der Regel nicht vorgeschrieben.
Es gibt in der Praxis größere Überschneidungen, weswegen beide Ernährungsformen gerne verwechselt werden, sie unterscheiden sich aber in wesentlichen Punkten. Schauen wir uns das also mal genauer an:
Die Low-Carb-Ernährung
Als Vater der Low-Carb-Ernährung gilt William Banting, der schon Ende des 19. Jahrhunderts erfolgreich mit dieser Diät abnahm und seine Erfahrungen in einem kleinen Buch publizierte. Er war damit so erfolgreich, dass zeitweise „Banting“ als Synonym für „abnehmen“ galt.
Später gab es noch viele prominente Vertreter der Low-Carb-Diät, in Deutschland z. B. Wolfgang Lutz (mit dem Buch Leben ohne Brot. Die wissenschaftlichen Grundlagen der kohlenhydratarmen Ernährung*) oder in den USA Robert Atkins.
Low-Carb-Ernährungsformen konzentrieren sich im wesentlichen auf ein Prinzip: Die Limitierung von Kohlenhydraten in der Ernährung. Je nach Variante werden unterschiedlich hohe Kohlenhydrat-Anteile, meist unter 100 Gramm täglich vorgeschrieben. Modernere Formen der Low-Carb-Ernährung empfehlen, statt Kohlenhydraten lieber Fett zu essen, so dass man am besten von einer Low-Carb-High-Fat (LCHF) Ernährung sprechen sollte, denn eine reine Low-Carb-Ernährung ohne Ausgleich durch mehr Fett macht langfristig hungrig und ist daher schwer durchzuhalten. (Kohlenhydrate durch mehr Proteine auszugleichen ist auch nicht wirklich praktikabel.)
Moderne Low-Carb-Ernährungen sind wissenschaftlich begründet und oft wird auch die Evolution als Grund für einen niedrigeren Kohlenhydrate-Anteil in der Ernährung angeführt. Auch gucken die meisten Vertreter gerne über den Tellerrand und beziehen andere Ernährungs-Aspekte wie Vitamine, Mineralien, Omega-3/Omega-6-Verhältnis etc. mit in die Argumentation ein.
Im Kern bleiben Low-Carb-Vertreter beim zentralen Prinzip, die Kohlenhydrat-Menge zu reduzieren. Es gibt auch mehrere Variationen von Low-Carb oder LCHF, die aber im wesentlichen eher Marketing-Konzepte sind und sich inhaltlich kaum von den ursprünglichen Low-Carb/LCHF/Atkins-Wurzeln unterscheiden, wie z. B. die „Glyx-Diät“, die „Slow-Carb-Diät“ oder die „South-Beach-Diät“.
Ein sehr gutes Buch über LCHF hat der schwedische Arzt Dr. Andreas Eenfeldt geschrieben, siehe Buchempfehlung: „Köstliche Revolution“ von Dr. med. Andreas Eenfeldt.
Die Paleo-Ernährung
Die Paleo-Ernährung gibt es je nach Sichtweise entweder seit Millionen von Jahren (weil der Urmensch sich so lange ernährt hat) oder seit 1985, als der Artikel Paleolithic nutrition. A consideration of its nature and current implications. von Boyd Eaton und Melvin Konner erschien. Zwar gab es schon vorher vereinzelt Bücher und Artikel, die die Steinzeiternährung als mögliche Lösung für Zivilisationskrankheiten beschrieben, aber erst seit den 80-er Jahren gibt es eine stärkere Kollaboration zwischen Paläontologen und Evolutions-Biologen auf der einen Seite, und Medizinern und anderen Bio-Wissenschaftlern auf der anderen Seite, die gemeinsam den evolutionären Ursprung des Menschen als Grundlage für ein besseres Verständnis von Ernährung und Stoffwechsel erforschen.
Die Paleo-Ernährung nimmt die Ernährung des Urmenschen als Grundlage, weil der Mensch sich über Millionen von Jahren an diese Ernährung evolutionär angepasst hat. Man geht dabei davon aus, dass sie aufgrund der evolutionären Anpassung besonders gut zum Stoffwechsel des Menschen passt. Da der Mensch schon früh verschiedene Regionen mit unterschiedlichen Umweltbedingungen und Nahrungsangebot erfolgreich bevölkert hat, ist die Paleo-Ernährung sehr variabel, was das Verhältnis von tierischer zu pflanzlicher Kost angeht, oder das Verhältnis der Makro-Nährstoffe (Kohlenhydrate, Fette, Proteine) zueinander.
In der Paleo-Ernährung studiert man mit modernen Forschungsmethoden die Unterschiede zwischen der Ernährung des Urmenschen und der modernen Ernährung, um besser zu verstehen, wie sich urzeitliche und moderne Nahrungsmittel auf den menschlichen Stoffwechsel auswirken.
Über die Zeit haben sich verschiedene Varianten der Paleo-Ernährung entwickelt, die mehr oder weniger Ausnahmen gegenüber einer strengen „nur was der Urmensch jagen und sammeln konnte“ Kost zulassen, wobei diese Ausnahmen in der Regel sinnvoll begründet sind.
Das Ziel ist also nicht, wie ein Urmensch zu leben, sondern vielmehr zu verstehen, welche Ernährung für den Menschen am besten ist.
Gemeinsamkeiten
Da beide Ernährungsformen wissenschaftlich begründet sind und weil der Verzicht auf Getreide, einer der wichtigsten Kohlehydrate-Quellen in der normalen Ernährung, ein wesentliches Merkmal der Paleo-Ernährung ist, laufen beide Ernährungsformen in der Praxis darauf hinaus, dass man weniger Kohlenhydrate isst, als bei normaler Kost.
Allerdings ist es hier wichtig zu unterscheiden, dass bei der Low-Carb-Ernährung die Quantität (also: „weniger Kohlenhydrate“) eines einzelnen Nährstoffes im Vordergrund steht, während bei der Paleo-Ernährung die Qualität und die Auswahl der Lebensmittel wichtig ist („kein Getreide, keine Hülsenfrüchte, keine Milch-Produkte, dafür Fleisch, Fisch, Eier, Obst, Gemüse, Nüsse“).
Betrachtet man natürlich lebende Jäger und Sammler Kulturen (siehe z. B. Plant-animal subsistence ratios and macronutrient energy estimations in worldwide hunter-gatherer diets.), so stellt sich heraus, dass hierbei der Kohlenhydrate-Anteil stark schwanken kann: Die Spanne reicht hier zwischen 22 % und 40 % der konsumierten Energie aus Kohlenhydraten. Das ist eine weite Spanne, die aber auch im oberen Bereich deutlich unter den ca. 50 % Energie aus Kohlenhydraten bei normaler, westlicher Ernährung liegt.
Weil die Paleo-Ernährung aufgrund der qualitativen Forderung nach „guten Kohlenhydraten“ aus Obst, Gemüse oder Knollen auf natürlichem Wege (durch geringere Auswahl aber auch durch Förderung natürlicherer Regelungs-Mechanismen) auch zu einer quantitativen Reduktion von Kohlenhydraten führt, überschneidet sie sich in der Praxis mit Low-Carb und wird daher oft mit dieser verwechselt. Die Paleo-Ernährung ist aber keine Low-Carb-Ernährung.
Einige Menschen vertragen problemlos auch einen höheren Anteil von Kohlenhydraten (z. B. aufgrund einiger genetischer Anpassungen seit der Steinzeit), so dass einige Vertreter der Paleo-Ernährung heute auch einen moderat höheren Anteil von Kohlenydraten, aber aus sicheren Quellen propagieren. Dagegen beharren eher konservative Vertreter der Paleo-Ernährung darauf, dass Kohlenhydrate limitiert werden sollten und verweisen auf deren Nachteile auf den Insulin-Stoffwechsel. Dieser Streit ist zur Zeit als „Safe Starch“ Debatte bekannt. Es gibt aber auch viele Paleo-Anhänger, die sich bewusst auch nach Low-Carb ernähren und sich daher „Low-Carb-Paleo“ ernähren. Man kann also beides kombinieren.
Über die „richtige“ Menge von Kohlenhydraten lässt sich trefflich streiten. Eine Betrachtung auf Basis verschiedener wissenschaftlicher Beobachtungen dazu gibt es im Artikel: Kohlenhydrate: Was ist die richtige Menge?
Unterschiede
Je nach Low-Carb-Variante gibt es auch deutliche Unterschiede zur Paleo-Ernährung: Hülsenfrüchte sind z. B. nicht Teil der Paleo-Ernährung, in der Low-Carb-Ernährung jedoch enthalten. Auch Milch-Produkte sind nicht Teil der Paleo-Ernährnung (je nach Variante mit Ausnahme von Butter, griechischem Joghurt etc.), werden jedoch bei Low-Carb akzeptiert.
In Low-Carb-Büchern wird auch gerne zum Frühstück eine Scheibe Vollkornbrot gereicht, was in der Paleo-Ernährung ein No-Go ist.
Grotesk können die Unterschiede dann werden, wenn Bäcker anfangen „Low-Carb-Brötchen“ anzubieten, in denen sie Kohlenhydrate ausgerechnet durch reines Gluten ersetzen, was einer der wichtigsten Anti-Nährstoffe überhaupt ist, und daher der Hauptgrund ist, in der Paleo-Ernährung keine Getreideproduke zu essen.
Paleo ist mehr als nur „Ernährung“
Es ist auch wichtig, zu betrachten, dass der evolutionäre Blick auf den Menschen mehr Themen umfasst, als Ernährung. Auch bei Bewegung/Sport (z. B. Barfußlaufen), Schlaf, Stress-Management, Sonnenlicht, etc. können wir viel vom Urmenschen lernen, um in der modernen Welt gesünder zu leben.
Fazit
Was ist besser? Es gibt hier keine Gewinner oder Verlierer. Die Wahl der „richtigen“ Ernährungs-Form ist eine Frage dessen, welches Ziel man verfolgt:
- Wer nach einer einfachen Regel unkompliziert abnehmen will, die/der ist vielleicht mit der Low-Carb-Ernährung am besten beraten.
- Wer seine Gesundheit optimieren will, indem er ihre/seine Ernährung besser auf den genetisch bedingten Stoffwechsel abstimmen will, der sollte sich die Paleo-Ernährung genauer anschauen.
Ich persönlich halte die Beschränkung auf das Thema „Kohlenhydrate“ allein für eine zu starke Vereinfachung des Themas „Ernährung“. Ich interessiere mich mehr für den Körper und seinen Stoffwechsel als Ganzes und daher macht für mich die Paleo-Ernährung aufgrund ihrer evolutionären Wurzeln und dem Bezug zur aktuellen Forschung am meisten Sinn: Unser Stoffwechsel hat sich durch Evolution an seine Umwelt angepasst (oder nicht), also können wir am meisten über unseren Stoffwechsel lernen, wenn wir die Evolution und die sich ändernden Umweltbedingungen studieren.
Tatsache ist, dass Low-Carb/LCHF/Paleo-Vertreter oft in den gleichen Konferenzen und Diskussions-Gruppen aktiv sind, sich ihre Themen oft überschneiden und zwischen den Gruppen ein freundschaftliches Verhältnis herrscht, so dass man sich gegenseitig sehr gut austauschen kann.
Diskussion
Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten seht Ihr noch zwischen Low-Carb und Paleo?
Welche Variante ist Euch lieber?
Kombiniert Ihr beides als Low-Carb-Paleo oder macht Ihr eher das Gegenteil („High-Carb-Paleo“)?
Buchtipps*
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Von Constantin Gonzalez am 05.09.2014, aktualisiert: 20.11.2022 in Leserfragen.
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