Sascha Fasts Artikel über Selbstexperimente erinnerte mich an diesen Artikel, der seit einigen Wochen in meiner Entwurf-Schublade rumlag:
Die unübersichtliche Flut von Aussagen seitens Ärzten, Forschern, Medien, Industrie und anderen „Experten“ (seriös oder nicht) zum Thema „Ernährung“ ist verwirrend, geradezu lähmend. Humbug-Studien, die lediglich Korrelationen betrachten, statt Wirkungs-Mechanismen systematisch zu erforschen sind ein typisches Beispiel für Verwirrungs-Forschung, die Stimmung machen soll statt den Dingen auf den Grund zu gehen. Der Einzelne fragt sich oft hilflos: Was stimmt und was nicht? Wie kann ich für mich selber entscheiden, was richtig ist?
Wie kommt man der Wahrheit wirklich näher? Dazu gibt es ein schönes Video eines echten Helden der Forschung der die wissenschaftliche Methode auf den Punkt bringt und zeigt, wie jeder von uns zum Forscher in eigener Sache werden kann. Zum Ich-Forscher.
Ob DGE, Low-Fat, LOGI, Makrobiotik, Vegetarismus, Veganismus, Rohkost, Atkins, Low-Carb-High-Fat, die „New York“-Diät, Paleo, Primal oder (kein Witz) die Werwolf-Diät: Vertreter aller Ernährungsformen behaupten, „die einzig wahre und richtige“ Ernährung gefunden zu haben, die „schlank, gesund und glücklich“ macht.
Wie kann man als normaler Mensch herausfinden, was wirklich stimmt?
Was wir hier brauchen, ist ein Filter. Ein Sieb, das uns hilft, die Spreu vom Weizen (hihi) zu trennen. Eine Methode, die jedem Menschen helfen kann, herauszufinden, was stimmt und was Humbug ist. Oder was einfach noch nicht genau genug erforscht worden ist.
Richard Feynman, Physiker und Held der Wahrheit
Der amerikanische Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman war nicht nur einer der größten Physiker des 20. Jahrhunderts, er war auch ein begnadeter Didaktiker, der seine Schüler immer wieder aufs Neue für die Wunder der Naturwissenschaft begeistern konnte.
In diesem Video finden wir ein besonderes Juwel seiner Arbeit, denn er erklärt einem Laienpublikum in nur einer Minute, wie echte Forschung funktioniert:
Hier eine sinngemäße Übersetzung (Ergänzungen in eckigen Klammern, Hervorhebungen von mir):
Im Allgemeinen suchen wir ein neues [Natur]Gesetz mit dem folgenden Prozess:
- Erstens, raten wir (Publikum lacht), nein, lachen Sie nicht, das ist wirklich wahr.
- Dann berechnen wir die Konsequenzen unserer Vermutung, um zu sehen ob, wenn das stimmt, wenn dieses Gesetz, das wir erraten haben wahr ist, um zu sehen was das bedeutet und
- dann vergleichen wir die Resultate unserer Berechnungen mit der Natur, oder wir sagen wir vergleichen sie mit Experimenten oder Erfahrung, vergleichen sie direkt mit Beobachtungen, um zu sehen ob das funktioniert.
Wenn sie [die Vermutung] sich mit dem Experiment widerspricht, ist sie falsch. In dieser simplen Aussage steckt der Schlüssel zur Forschung: Es macht keinen Unterschied, wie schön Ihre Vermutung ist, es ist unbedeutend, wie schlau Sie, die diese Vermutung geäußert haben, sind oder welchen Namen Sie haben: Wenn sie sich mit dem Experiment widerspricht, ist sie falsch. Das ist alles, was es dazu gibt.
Vermutung, Konsequenz, Experiment. Wiederholen Sie bitte!
So einfach ist echte Forschung: Zuerst stellt man eine Vermutung (also eine Theorie oder Hypothese) auf (und es ist ok an dieser Stelle, sich was auszudenken), dann überlegt man, welche Konsequenzen aus dieser Vermutung folgen müssen, und dann kann jeder im Experiment bestätigen oder widerlegen, ob die Vermutung haltbar ist.
Wenn das Experiment die Vermutung bestätigt, ist die Theorie zwar noch nicht bewiesen, aber zumindest stärker gefestigt. Passen die Ergebnisse des Experiments nicht zur Vermutung, dann ist die Theorie falsch oder zumindest unvollständig und sie muss dann korrigiert werden. Zurück auf Los!
Mit diesem einfachen Kreislauf hat der Mensch sich erfolgreich vom Faustkeil über das Feuer, das Rad, das Segelboot, die Dampfmaschine, die Medizin, die Mondlandung, den Computer, das Handy und alles andere, was wir heute als Zivilisation kennen, systematisch hoch gearbeitet.
Wo Studien aufhören – und wo Forschung beginnt
Das Schlüsselwort hier ist: Experiment.
Denn hier liegt das Problem mit typischen Beobachtungsstudien, die uns weismachen wollen, dass Fleisch ungesund wäre, dass wir statt Fett Kohlenhydrate essen sollen oder wo irgendein anderer Humbug behauptet wird: Es geht dort nur um Vermutungen und nicht um Experimente.
Eine einfache Beobachtungsstudie vom Schema: „Menschen, die x gegessen hatten, hatten auch y“ kann nur statistische Beziehungen (Korrelationen) aufzeigen. Sie kann zwar beobachten und aus diesen Beobachtungen Fragen ableiten, aber sie kann niemals Rückschlüsse auf Ursache und Wirkung ziehen, da sie (und daher auch der Name) nur Beobachtungen auswerten kann.
Beobachtungsstudien sind keine Experimente.
Echte Forschung beginnt erst bei der Beobachtung und versucht dann, daraus einen Theorie abzuleiten, die die Beobachtung erklärt. Und diese Theorie muss dann einem Experiment standhalten können, um bestätigt zu werden. Oder sie ist widerlegt.
Um fair zu sein: Gute Beobachtungs-Studien sagen klar und deutlich, dass sie nur beobachten und stellen fest, welche neuen Fragen sich aus den Beobachtungen ergeben haben und genauer erforscht werden müssen. Das ist auch richtig so. Leider greifen oft Massenmedien die Ergebnisse solcher Studien vorschnell auf und machen um der Schlagzeilen willen aus einer Beobachtung eine angeblich neue „Entdeckung“.
Wir alle sind Forscher!
Die Lösung ist einfach, denn das schöne an Richard Feynmans Vortrag ist: Mit der wissenschaftlichen Methode kann jeder zum Forscher werden, auch Du, lieber Leser!
Wenn Dich ein Thema interessiert, oder Dich selbst betrifft und die Aussagen aus den Medien sich dazu widersprechen, dann mach Dein eigenes Experiment!
Das ist der Grund, warum in der Paleo-Bewegung so häufig vorgeschlagen wird, es einmal 30 Tage mit der Paleo-Ernährung zu versuchen: Ein guter Selbstversuch räumt alle Zweifel aus. Nicht unbedingt für die gesamte Bevölkerung, aber für genau den Teil der Bevölkerung, der Dir am wichtigsten ist: Dich selbst.
Statistiker nennen das ein Experiment mit „n=1“.
Um die besten Erkenntnisse zu gewinnen, sollten Experimente sorgfältig durchgeführt werden:
- Keine gefährlichen oder risikoreichen Dinge ausprobieren. Das versteht sich von selbst!
- Das Vorher und das Nachher sollte gut dokumentiert sein. Etwa: Gewicht, Bauchumfang, körperliche Leistung, Blutwerte oder auch einfach nur subjektive Beobachtungen, z.B. in einem Versuchs-Tagebuch.
- Wer es genau wissen will, sollte nur eine Variable auf einmal ändern. Wer z.B. 30 Tage lange Paleo ausprobiert hat und dann wissen will, ob sie/er auf Getreide- oder Milchprodukte empfindlich reagiert, sollte danach nur eine der beiden Kategorien testen – und nicht gleich ein Käsebrötchen mit Cappuccino.
- Versuche sollten am besten durch Gegenversuche bestätigt werden. Wenn man durch Ändern einer einzigen Variable ein Ergebnis beliebig oft „ein- oder ausschalten“ kann, dann ist man der Ursache sicher viel näher gekommen.
- Übung macht den Meister: Wer viel experimentiert, gewinnt mit der Zeit einen unschätzbar wertvollen Erfahrungsschatz.
Zwei spannende Beispiele
Zum Schluß zwei Beispiele, die gegensätzlicher nicht sein könnten:
Beispiel Nummer eins ist die gruselige Geschichte eines Arztes und seiner Patientin die, ohne es zu wissen, ein Experiment machten, und dabei den Wald vor lauter Bäumen nicht sahen – mit fatalen Folgen.
Der Arzt diagnostizierte einer 50-jährigen Hausfrau bei der Vorsorge eine „Altersdiabetes“.
Die Feynmansche Vermutung steht hier in den ärztlichen Leitlinien: Fett soll Diabetes machen, also sollen Diabetiker wenig Fett und statt dessen viel Kohlenhydrate essen. Und Insulin spritzen.
Die angenommene Konsequenz hier ist, dass diese Behandlung Diabetikern helfen soll, ihre Krankheit zu mildern.
Das Experiment: Wenig Fett, viel Kohlenhydrate, Insulin. Die 50-jährige Patientin gehorcht und macht alles, was der Arzt sagt.
Das Ergebnis: Eine Katastrophe! Der Zustand der Hausfrau verschlechtert sich von Arztbesuch zu Arztbesuch, sie nimmt über 20 kg zu und ist nach einem Jahr aufgrund ihrer Diabetes erblindet.
Und niemandem fällt auf, dass das Experiment gescheitert ist, denn was im Handbuch steht muß ja wahr sein!
Dazu fällt mir ein Zitat ein, das Albert Einstein zugeschrieben wird:
Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.
Das ist doch das Gegenteil von Forschung: Experimente durchführen, ohne daraus zu lernen.
Die volle Geschichte findet Ihr beim prominenten Arzt Dr. Ulrich Strunz in seinem Artikel Leitlinien in der Praxis.
Beispiel Nummer zwei ist zum Glück viel ermutigender:
Christine vom Foodie-Blog Schlichte Gerichte stieß bei ihren Ernährungs-Recherchen irgendwann auf die Paleo-Ernährung und hat dann einfach mal auf Paleo umgestellt.
Sie schreibt: „Die Paleo-Theorie stellte mein bisheriges Wissen über gesunde Ernährung komplett auf den Kopf.“ Gut, dass sie sich davon nicht abschrecken ließ, denn dann schreibt sie: „Experimentierfreudig wie ich bin, hatte ich schon am ersten Tag, als ich auf Felix’ Blog gelandet war, einfach mal angefangen, mich zuckerfrei, getreidefrei, hülsenfrüchtefrei zu ernähren.“
Das Ergebnis? Christine hat nicht nur „stark abgenommen“, ihr „Dekolletee wurde zart wie Babyhaut.“ und kann „mittlerweile mit Sport beginnen – etwas, das vor Paleo undenkbar war, denn da war ich ständig so müde und schlapp, dass ich grade mal irgendwie durch den Tag kam. Zu fühlen, dass man Bauchmuskeln hat, ist wirklich toll!“
In verschiedenen Updates Ihres Artikels beschreibt sie, wie sie methodisch vorgeht und die Auswirkungen von der Paleo-Ernährung mit und ohne Milchprodukte an sich selber ausprobiert.
Sie hat ihr eigenes Forschungsprojekt mit „n=1“ daraus gemacht!
Übrigens: Ein sehr populärer Ernährungs-Selbstversuch stammt von Morgan Spurlock: Der Filmemacher setzte sich selber 30 Tage lang unter ärztlicher Kontrolle auf eine pure McDonalds-Diät – mit verheerenden Folgen. Seine Erfahrungen dokumentierte er in seinem Film Supersize Me (2 DVDs)*.
Versuch macht Kluch
Fazit: Beobachtungs-Studien sind interessant, können aber nur Fragen aufwerfen. Sorgfältig durchgeführte Experimente sind besser, denn mit ihnen kann man Hypothesen bestätigen oder widerlegen. Und das beste Experiment ist immer das, was man selber gemacht hat!
Mehr Erfahrungsberichte findet Ihr z.B. bei Felix in seinen Urgeschmack Erfolgsgeschichten, bei den Paleo360 Erfahrungsgeschichten und natürlich auch hier auf Paleosophie in der Kategorie Erfolge.
Welche Experimente hast Du für Dich selbst schon durchgeführt? Schreib einen Kommentar dazu!
*: Amazon Affiliate-Link: Kauf’ Dich schlank und unterstütze dabei Paleosophie mit einer kleinen Prämie. Wir beide gewinnen!
Von Constantin Gonzalez am 16.06.2014, aktualisiert: 19.12.2016 in Grundlagen.
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