Paleosophie | Tipps und Hintergründe für den zivilisierten Urmenschen | von Constantin Gonzalez

Britisches Ärzteblatt: U.S. Ernährungs-Ausschuss produzierte Ausschuss

Der Advisory Report des U.S. Ernährungs-Ausschusses ist Humbug.

Alle fünf Jahre revidiert das US-Ministerium für Gesundheit (U.S. Department of Health and Human Services, HHS) zusammen mit dem US-Landwirtschaftsministerium für (U.S. Department of Agriculture, USDA) die offiziellen staatlichen Richtlinien für Ernährung.

Dieses Jahr ist es wieder soweit, und die Lage scheint sich zuzuspitzen …

Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, daß ihre Gegner allmählich aussterben und daß die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.

Max Planck, 1948

Grundlage für die diesjährig erneuerten Richtlinien ist der Bericht des offiziellen Beratungsausschusses, dem „Dietary Guidelines Advisory Committee“, der im Februar veröffentlicht wurde: Scientific Report of the 2015 Dietary Guidelines Advisory Committee.

Die Journalistin Nina Teichholz, die letztes Jahr durch ihr Buch The Big Fat Surprise: Why Butter, Meat and Cheese Belong in a Healthy Diet* bekannt wurde, hat den Bericht näher studiert und für das renommierte britische Ärzte-Blatt „British Medical Journal“ eine Analyse geschrieben: The scientific report guiding the US dietary guidelines: is it scientific?

Frau Teichholz konnte kaum etwas Gutes im Bericht finden: Gerade in den letzten 10 Jahren wurden so viele neue wissenschaftliche Erkenntnisse über Ernährung bekannt und so viele alt hergebrachten Meinung überworfen wie noch nie zuvor, trotzdem hält der Bericht des Ausschusses immer noch an alten Dogmen fest und ignoriert einfach die aktuelle Forschung.

Laxere Recherchemethoden

Dabei hatte sich das amerikanische Agrar-Ministerium 2010 dazu entschlossen, strengere wissenschaftliche Methoden für ihre Untersuchungsberichte anzuwenden und dafür eigens die „Nutrition Evidence Library“ (NEL) samt standardisiertem Prozess für die Identifikation, Auswahl und Evaluierung relevanter Studien eingerichtet.

Der Untersuchungsausschuß hielt es offenbar nicht für nötig, diese Bibliothek zu nutzen und gab an, dass er für 70 % der im Bericht behandelten Themen die NEL gar nicht konsultiert habe – darunter die in letzter Zeit am meisten öffentlich diskutierten Fragen zu Ernährung und Gesundheit.

Doch es besteht Hoffnung: In den Monaten seit Veröffentlichung gingen über 29000 Kommentare zum Bericht des Untersuchungsausschusses ein – fast 30 mal so viel wie in der vorherigen Runde 2010. Dies veranlasste den US Kongress dazu, einzuschreiten und im Juni zu fordern, dass die Richtlinien exklusiv auf „harten“ wissenschaftlichen Fakten beruhen müssen und dass sie sich allein auf den Ernährungs-Aspekt fokussieren sollen.

Spannend wird es im Oktober, wenn zwei Sekretäre des Kabinetts zu diesem Thema vor dem Kongress aussagen sollen.

Das könnte ja noch zum Popcorn-Kino werden.

(Auch wenn Popcorn nicht „Paleo“ ist.)

Industrie-Zuschüsse statt saubere Recherche

Trotz Anstrengungen der US-Regierung, den 5-jährigen Überprüfungsprozess strenger wissenschaftlich zu gestalten hat der Ausschuss statt der staatseigenen NEL lieber Publikationen externer beruflicher Vereinigungen wie der American Heart Association (AHA) oder dem American College of Cardiology (ACC) herangezogen. Das Problem hierbei: Solche Institutionen legen nicht nur unterschiedliche wissenschaftliche Standards zu Grunde, sondern werden auch von Lebensmittel- und Pharmakonzernen unterstützt.

Zwischen 20 % und 38 % des Budgets dieser Institutionen stammen aus der Industrie.

„Nachtigall, ick hör Dir trapsen“ würde meine Mutter dazu sagen.

Fett daneben

Gerade beim kontroversen Thema Fett zeigte sich im Bericht des Untersuchungsausschusses eine klare Färbung: Mehrere prominente Studien, die den Zusammenhang zwischen Fettkonsum und Herzkrankheiten anzweifelten wurden ignoriert und die Argumentation für eine Reduktion des Fettanteils auf 10 % auf veraltete und wenig aussagekräftige Studien gestützt.

Zwar wurde das Komitee angehalten, speziell die neuere Forschung seit 2010 zu berücksichtigen, dieser Aufforderung kamen die Mitglieder aber offenbar nur sehr oberflächlich nach: Lediglich ein paar ad hoc Recherchen wurden durchgeführt und eher halbherzig erwähnt. Trotz der dünnen Beweislage hielt der Ausschuss an der althergebrachten Aussage fest, dass eine „starke“ Verbindung zwischen gesättigten Fetten und Herz-Kreislauferkrankungen bestünde. Eine Aussage, die bis heute nicht ausreichend wissenschaftlich begündet wurde.

Im Westen nichts Neues

Auch das in den letzten Jahren wieder stark aufkeimende Thema „Low-Carb“ wurde vom Komitee stiefmütterlich behandelt: Ohne ihre Recherchen groß zu dokumentieren behauptet der Bericht, dass es zum Thema nur wenig Erkenntnisse gäbe, obwohl inzwischen über 140 zum Teil sehr aufwändige Studien dazu gemacht wurden, davon über 90 relativ neu, also nach dem Jahr 2000. Mehrere Metaanalysen dieser Studien bescheinigen dieser Ernährungsform klare Vorteile für die Gesundheit und den Fettabbau.

Da die bisherigen Ernährungsrichtlinien der USA offenbar keine positive Wirkung gezeigt haben ist es offensichtlich, dass neue Strategien für eine bessere Ernährung notwendig sind. Leider hat der Bericht des Untersuchungsausschusses auch hier wenig zu bieten. Lediglich eine Limitierung von Zucker (yay!) wird vorgeschlagen während die Hauptstrategie des Ausschusses zu sein scheint, eine Pflanzen-basierte Ernährung hervorzuheben und den Genuss von „rotem und verarbeitetem Fleisch“ einzuschränken.

Jedoch bleibt hier eine fundierte Begründung aus, denn eine Recherche in der NEL-Bibliothek ergab, dass es zu diesem Thema keine systematische Untersuchung gegeben hat. Stattdessen widerspricht sich der Bericht selbst: Die von den Autoren als Hauptargument gegen den Genuss von rotem Fleisch angeführte randomisierte Studie hat in der Experimentiergruppe gar nicht die Reduktion von rotem und verarbeitetem Fleisch beabsichtigt und ist daher gar nicht geeignet, diese Hypothese zu stützen. Auch zeigt die einzige zitierte Statistik zu dem Thema ein ziemlich gleiches Bild – egal ob rotes Fleisch konsumiert wurde oder nicht.

Warum ist das wichtig?

Nun könnte man sagen, dass die Amis ja machen sollen, was sie wollen, wir können ja selber entscheiden, wie wir uns ernähren wollen.

Leider ist es so, dass genau dieser Bericht Grundlage für die nächsten 5 Jahre U.S.-Ernährungspolitik werden könnte, die gerne auch von britischen und deutschen Ernährungsbehörden übernommen wird. Der Bericht hat also deutliche Auswirkungen jenseits des Staates und man darf mutmaßen, dass auch die DGE sich an dem ausrichten wird, was die Amerikaner demnächst als „gesunde Ernährung“ offiziell einstufen.

Da macht es schon Hoffnung, dass dieses mal der Medien-Rummel in den USA um den suspekten Report recht groß ist:

Die deutschen Blätter interessiert das Thema offenbar nicht – oder habt Ihr schon hierzulande Reaktionen auf den Artikel des BMJ gefunden?

Buchtipp:


*: Amazon Affiliate-Link: Kauf’ Dich schlank und unterstütze dabei Paleosophie mit einer kleinen Prämie. Wir beide gewinnen!

Von Constantin Gonzalez am 27.09.2015, aktualisiert: 19.12.2016 in Allgemein.


Hat Dir dieser Artikel gefallen? Dann:

Mehr spannende Paleo-Artikel findest Du täglich neu auch auf Paleo-Planet, dem deutschen Paleo-Blog-Aggregator.


Werbung


Kommentare

Hey, danke, dass Du kommentieren möchtest! Aber bitte denk daran: Wir sind keine Höhlenmenschen mehr. Also lass Deine Keule zuhause und denk an die folgenden drei Dinge, bevor Du einen Kommentar schreibst: 1. Lies den Artikel. 2. Denk nach. 3. Schreib was Nützliches. Danke!

Willkommen!

Mein Name ist Constantin, Informatiker und seit 2008 beschäftige ich mich intensiv mit Ernährung, Gesundheit und aktueller Forschung dazu.

Mit der Paleo-Ernährung (oder: „Paleo-Diät“) bin ich heute 18 kg leichter und fitter als je zuvor. Jetzt wandle ich mich vom Couch-Potato zum Athleten. Das hätte ich als klassischer „Geek“ nie gedacht!

In Paleosophie geht es um Paleo-Ernährung, was dahinter steckt, wie sie funktioniert und um immer neue Möglichkeiten, das Beste aus Deinen Genen zu machen. Mehr…

Wenn Dir die Artikel, Tipps und Rezepte hier weiter geholfen haben, dann schick’ mir eine Mail mit Deinen Erfahrungen und mach' mit!

In den Kommentaren, als Feedback per Mail, mit einer Spende oder mit Deiner Weiterempfehlung:

Vielen Dank!

Paleo für’s Ohr

Neu: Paleosophie gibt's jetzt auch als Paleosophie-Podcast in iTunes für Deinen iPod! Jetzt in iTunes abonnieren, oder den Paleosophie Podcast-Feed nehmen. Viel Spaß beim Anhören!

Podcast anhören

Empfehlungen

Social Media International

Von Friederike Gonzalez.

Social Media International

ME Improved

Von Sascha Fast.

ME Improved

Urgeschmack

Von Felix Olschewski.

Urgeschmack

Echt Fett

Von Robert Schönauer.

Echt Fett

Edition nm

Von Monica Schlatter und Nadja Reinmann.

Edition nm

Paleo Planet

Die neuesten Artikel deutscher Paleo-Blogs.

Paleo Planet

Zenstoff

Shirts & mehr bedruckt mit Zen, Liebe und Humor

Zenstoff


Copyright © 2022 – Constantin Gonzalez – Einige Rechte vorbehalten
Wichtiger Hinweis zu Gesundheits-Themen: Bei gesundheitlichen Beschwerden konsultieren Sie bitte Ihren Arzt. Wer die Informationen auf dieser Webseite für sich anwendet, tut dies in eigener Verantwortung. Die Autoren beabsichtigen nicht, Diagnosen zu stellen oder Therapieempfehlungen zu geben.
Haftungssausschluß: Die Informationen auf dieser Webseite sind nicht als Ersatz für professionelle therapeutische Hilfe bei gesundheitlichen oder psychischen Problemen zu verstehen. Die Autoren können keinerlei Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität der Inhalte übernehmen.
Diese Seite benutzt Google Analytics, Alexa, Feedburner, Disqus, Flattr, PayPal und möglicherweise andere Web-Dienste, soziale Netzwerke und Tracking-Technologien.
Weitere Informationen dazu stehen im Impressum und in der Datenschutzerklärung.
Durch Nutzung dieser Seite erklären Sie sich damit einverstanden, die Autoren für keinerlei Folgen haftbar oder verantwortlich zu machen.

Diese Seite wird mit Python, Jinja2, Bootstrap, Bootswatch, Glyphicons und Font Awesome erzeugt, bei Amazon S3 bereitgestellt und über Amazon CloudFront verteilt.

Open Sans Schriftart genutzt unter der Apache License, Version 2.0.