Paleosophie | Tipps und Hintergründe für den zivilisierten Urmenschen | von Constantin Gonzalez

Studie: Rotes Fleisch hängt mit längeren Telomeren in den DNA menschlicher Blutzellen zusammen

Ein Steak

Normalerweise schalte ich bei Studien über rotes Fleisch ab, weil dort häufig Korrelation mit Kausalität verwechselt wird und weil solche Studien oft die Agenda der Autoren widerspiegeln und wenig nützliche Informationen beinhalten.

In dieser Studie lief es anders: Die Forscher waren eher ergebnisoffen und wollten die Wirkung verschiedener Lifestyle-Faktoren auf die Telomere als Maßstab für die Lebenserwartung von Körperzellen untersuchen. Dabei stellten sie Erstaunliches fest: Allein rotes Fleisch schien als einziger Faktor eine Auswirkung auf die Länge der Telomere zu haben, und zwar positiv.

Was sind Telomere?

Jede Zelle (bis auf wenige Ausnahmen, wie z. B. rote Blutkörperchen) hat einen Zellkern, der die DNA als „Bauplan“ der Zelle enthält. Bei der Zellteilung wird dieser Bauplan kopiert, damit jede Tochterzelle einen eigenen Bauplan bekommt.

Die DNA besteht aus mehreren Chromosomen, die ihrerseits aus langen, spiralförmigen Ketten von Nukleinsäuren bestehen. Es gibt nur vier verschiedene Nukleinsäuren, die sozusagen das Alphabet des Zellkerns darstellen und die mit T, G, A, C abgekürzt werden.

Wie in einem Tonband oder einem Lochstreifen ist die Information innerhalb der DNA als Sequenz dieser vier Aminosäuren codiert. Bei der Zellteilung werden die spiralförmig verpackten Chromosomen aufgedrillt und von komplizierten Proteinen Nukleinsäure für Nukleinsäure kopiert – wie eine Bandmaschine, in die ein Band reinkommt und aus der zwei Kopien des Bandes herauskommen.

Dabei kann man sich einen DNA-Strang wie einen Reissverschluss vorstellen, bei dem die „Zähne“ die Nukleinsäuren sind. Jede Nukleinsäure hat eine andere Nukleinsäure als spiegelbildliches Gegenstück, so dass die beiden Hälften eines Stranges die gleiche Information tragen, nur als Spiegel der jeweils anderen Hälfte. Das Kopieren von DNA entspricht also dem Aufziehen des Reissverschlusses, wonach die jeweils andere Hälfte durch die sog. Replisomen ergänzt werden.

Wer diesen faszinierenden Vorgang mal beobachten möchte, kann das in dieser realistischen Animation verfolgen:

Doch der Kopiervorgang ist nicht perfekt: Aus mechanischen Gründen können die Kopiermaschinen die Enden des DNA-Bandes nicht kopieren, so dass an beiden Enden kleine DNA-Stücke schlicht übergangen werden. Das bedeutet, dass jede DNA-Kopie ein kleines Stückchen kürzer ist als das Original.

Damit dieser Verschnitt keinen DNA-Schaden anrichtet, plant die Natur Puffer ein: Am Anfang und am Ende jedes Chromosoms ist ein längeres Stück mit einem bestimmten Code belegt, der „Anfang“ bzw. „Ende“ signalisiert und ansonsten keine wertvollen Informationen beinhaltet. Bei Wirbeltieren ist das die Sequenz „TTAGGG“, die beim Menschen ca. 2500 mal wiederholt wird. Lang genug, damit sich die Zelle ein Leben lang teilen kann. Diese Endstücke heißen Telomere.

Sind die Telomere zu kurz, dann hört die Zelle entweder auf, sich zu teilen oder sie stirbt automatisch ab, um schadhafte Kopien ihrer DNA zu vermeiden. Unter Umständen können bei bestimmten Zelltypen die Telomere aber auch wieder verlängert werden, z. B. um neuem Leben wieder genügend lange Telomere mitgeben zu können.

Aus diesem Grund gelten Telomere, vereinfacht gesagt, als ein Maß für das Alter bzw. für die Restlebensdauer einer Zelle: Je länger die Telomere, desto „jünger“ bzw. „weniger verbraucht“ sind die Zellen. Dementsprechend hat man beobachtet, dass Zellen mit kürzeren Telomeren eher zur Bildung von Krebs neigen. [1]

Die Studie

Schon lange versuchen Forscher herauszufinden, welche Einflüsse in welchem Zusammenhang mit der Länge von Telomeren stehen. Man hofft, durch ein besseres Verständnis von Telomeren indirekt herauszufinden, wie der Alterungsprozess beim Menschen funktioniert und Hinweise zu bekommen, ob man durch eine Verlängerung der Telomere diesen Alterungsprozess beeinflussen kann.

Eine Gruppe von vier Wissenschaftlern an der medizinischen Universität von Lodz in Polen hat daher verschiedene Lebensstil-Faktoren untersucht und bei Probanden nachgemessen, in welcher statistischen Beziehung diese Faktoren zur Länge von Telomeren in Blutzellen stehen: The relationship between peripheral blood mononuclear cells telomere length and diet - unexpected effect of red meat.

Zu den erhobenen Faktoren gehörten:

  • Ernährung: Getreide, Früchte, Gemüse, Milchprodukte, rotes Fleisch, weißes Fleisch, Fisch, Süßigkeiten, salzige Snacks, Anzahl Mahlzeiten pro Tag.
  • Getränke: Fruchtsäfte, Kaffee, Tee, Mineralwasser, Softdrinks, Bier, Wein, Spirituosen.
  • Biometrische Faktoren: BMI, Bauch/Becken-Umfang, LDL, HDL.
  • Andere Faktoren: Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, Rauchen, Bewegung/Sport.

Statistik

Wie so viele Studien ist auch diese Studie eine statistische Studie: Man misst mehrere Variablen, wie die o. a. Lifestyle-Faktoren und vergleicht diese mit einer Zielvariablen, wie in diesem Fall der Telomer-Länge. Dann versucht man festzustellen, ob zwei Variablen sich gemeinsam verändern und daher miteinander in Beziehung stehen könnten.

Dabei kann es mehr oder weniger wahrscheinlich sein, dass man nur zufällig eine Beziehung zwischen zwei Variablen bekommt: Vielleicht hat man nur durch Zufall ein paar Probanden bekommen, bei denen kein Zusammenhang zwischen den Variablen besteht, sondern bei denen die Werte nur durch Zufall so aussehen. Um solche Fälle besser einschätzen zu können haben Statistiker den sog. p-Wert entwickelt: der gibt an, wie wahrscheinlich es ist, nur durch Zufall eine Beziehung zwischen zwei Werten zu beobachten: Je kleiner der p-Wert, desto verlässlicher ist die statistische Beobachtung, dass zwei Variablen miteinander zusammenhängen.

Überraschung!

Warum so viel Statistik? Nun im Wust der statistischen Erhebungen gab es zwei Überraschungen für die Wissenschaftler:

  1. Von allen getesteten Lifestyle-Faktoren hatte nur ein Faktor einen statistisch signifikanten Einfluss auf die Telomerlänge (mit p < 0.05, d. h. die Wahrscheinlichkeit, dass es keinen Zusammenhang gibt und man nur „Glück“ gehabt hat ist < 5 %).
  2. Trommelwirbel: Dieser Faktor war der Konsum von rotem Fleisch. Probanden, die einmal täglich rotes Fleisch an 4–6 Tagen pro Woche aßen hatten längere Telomere als Probanden, die nie rotes Fleisch aßen. Der p-Wert war hier mit 0,017 besonders niedrig.

Was bedeutet das?

Spannend ist dieses Ergebnis, weil es der konventionellen Meinung widerspricht, dass der Genuss von rotem Fleisch ungesund sei. Im Gegenteil: Hier gibt es einen Hinweis, dass eher das Gegenteil der Fall sein könnte. Zumindest aus Sicht der Telomere.

Doch bevor Ihr jetzt alle den Grill anschmeißt und Eure Metzger leer kauft:

Auch wenn die Studie (und wahrscheinlich ihre Diskussion in den Medien) den Schluss nahelegt, dass rotes Fleisch die Telomere und damit die Lebensdauer von Körperzellen verlängern könnte, müssen wir uns immer wieder daran erinnern, dass:

  • Korrelations-Studien keine Aussagen über Wirkung machen. Das heißt auch für diese Studie, dass das Essen von rotem Fleisch nicht bedeuten muss, dass man davon längere Telomere bekommt. Es können viele andere Faktoren im Spiel sein, die dieses Ergebnis zur Folge haben können, z. B. Lebensumstände, die sowohl die Telomere verlängern und bei Rot-Fleisch-Essern zufällig häufiger auftreten, ohne dass das rote Fleisch selbst die Ursache sein muss.
  • Statistische Studien, die auf Basis von Umfragen gemacht wurden, grundsätzlich unscharf sind. Nicht immer können sich Probanden präzise an ihre Gewohnheiten erinnern oder lassen sich in ihren Antworten durch Wunschvorstellungen und Ideale täuschen.
  • Lange Telomere sind sicher nicht verkehrt, aber sie sind nur ein kleines Puzzlestück im Lebens- und Alterungs-Prozess – und den haben wir als Menschheit noch nicht komplett entschlüsselt, geschweige denn verstanden.

Dennoch: Am interessantesten finde ich an der Studie, dass alle anderen Faktoren keinen Einfluss auf die Telomere gehabt zu haben scheinen. Auch Faktoren wie Bewegung oder Rauchen schienen keinen signifikanten Effekt auf die Telomerlänge gehabt zu haben, auch wenn wir wissen, dass es sich hierbei definitiv um einflussreiche Faktoren für die Gesundheit handelt.

Ein praktischer Vorteil bleibt: Wenn das nächste mal im Bekanntenkreis jemand eine der beliebten „Studien sagen, dass rotes Fleisch Essen schlecht für die Gesundheit ist“ Diskussionen aufbringt, kann man jetzt mit einer interessanten Gegen-Studie kontern. Ist zwar genauso wenig sinnvoll, aber schneller und einfacher, als wenn man die Cocktail-Party mit langweiligen Betrachtungen zu Korrelation und Kausalität nervt …

Und für die, die das mit der DNA und der Zellteilung ganz genau wissen möchten: Erst vor ganz kurzem haben Forscher es geschafft, eine DNA-Replikation live zu „filmen“. Dabei haben sie festgestellt, dass die beiden Hälften jedes DNA-Stranges unabhängig voneinander repliziert werden, und zwar mit verschiedenen Geschwindigkeiten. Trotzdem schaffen es beide Hälften, sich bei der Replikation zu koordinieren. Es bleiben also noch viele spannende Rätsel offen: Independent and Stochastic Action of DNA Polymerases in the Replisome.

Quellen

[1]
Willeit P, Willeit J, Mayr A, Weger S, Oberhollenzer F, Brandstätter A, Kronenberg F, Kiechl S: Telomere length and risk of incident cancer and cancer mortality., 2010
[2]
Kasielski M, Eusebio MO, Pietruczuk M, Nowak D: The relationship between peripheral blood mononuclear cells telomere length and diet - unexpected effect of red meat., 2016
[3]
Graham JE, Marians KJ, Kowalczykowski SC: Independent and Stochastic Action of DNA Polymerases in the Replisome., 2017


Foto: Steak von Unsplash-User Jez Timms, genutzt unter der freien Unsplash-Lizenz (CC0).

Von Constantin Gonzalez am 23.06.2017 in Allgemein.


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Mit der Paleo-Ernährung (oder: „Paleo-Diät“) bin ich heute 18 kg leichter und fitter als je zuvor. Jetzt wandle ich mich vom Couch-Potato zum Athleten. Das hätte ich als klassischer „Geek“ nie gedacht!

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